Sanft rieselt der Schnee. Kinder ziehen mit leuchtenden Augen, roten Nasen und dicken Handschuhen hinein in den Wald, um den schönsten Tannenbaum auf den Schlitten…
Fotografien realer Objekte fügen sich ein in virtuelle 3d-Welten, surreale Gegenstände werden den realen Gesetzen der Physik unterworfen, Typografien entwickeln ein Eigenleben und immer ist alles in Bewegung. Satisfying Animation und Kinetic Typography sind die grafischen Designtrends dieser Zeit und sie bilden, so ist unsere These, zweierlei ab: Gewohntes ist nicht mehr, das was es mal war, weil sich teils plötzlich, teils schleichend sein Kontext ändert, weil die Voraussetzungen andere sind. Und: Eine Art Eskapismus macht sich breit, eine Realitätsflucht vor den Krisen, durch die wir gerade gehen. Der virtuelle Raum bietet Asyl und Entfaltungsmöglichkeiten, die in der Realität verwehrt sind oder verwehrt scheinen.
Ein innovatives, funktionales und perfekt designtes Produkt ist das eine. Das andere ist, dieses Produkt erfolgreich zu vermarkten, all seine Facetten und Funktionen zu zeigen. Gerade hochtechnisierte Gegenstände, die einem Fachpublikum nähergebracht werden sollen, gewinnen enorm, wenn sie in 3d-Grafiken präsentiert werden.
Ist das Objekt mit all seinen Eigenschaften in einem Grafikprogramm angelegt, kann der Grafiker oder die Grafikerin gleichsam die beste aller möglichen Welten um diesen Gegenstand entwickeln. „Satisfying Animation“ ist das Stichwort. Die Einbindung realer Gegenstände in virtuelle grafische Welten befriedigt gleichermaßen den ästhetischen Anspruch und das Informationsbedürfnis der Konsumenten. Und bietet einen eindeutigen Mehrwert für die Hersteller.
„Die Kreation dieser virtuellen Welt ist sehr komplex, weil allein das Bauen, Texturieren und Ausleuchten der Grafiken sehr aufwendig ist,” erklärt unsere Grafikerin Tatjana Pöschke. „Das faszinierende ist, dass wir mit den neuesten Grafikprogrammen den Gegenstand scheinbar den Gesetzen der Physik unterwerfen können und auf diese Weise Funktionsweise und Haptik viel besser vermitteln.“ So lässt sich simulieren, wie der Gegenstand reagiert, wenn er auf harten oder weichen Untergrund fällt, wenn er Nässe oder Wind ausgesetzt ist und vieles mehr. Bei der Satisfying Animation ist der Gegenstand permanent in Bewegung, präsentiert alle seine Eigenschaften und kann in beliebig viele Umgebungen eingefügt werden.
Nicht endende Dynamik gibt es auch beim anderen aktuellen Grafiktrend „Kinetic Typography“, dem bewegten Text. Die Typografie entwickelt ein Eigenleben, sie zerfällt, zerfließt, zerbröselt, fügt sich wieder zusammen, formiert Muster, wird vom Wind verweht. „Diese Animationstechnik ermöglicht maximale Aufmerksamkeitsgenerierung: Sie setzt auf das Bedürfnis des menschlichen Gehirns, eine Buchstabenfolge als Wort lesen zu wollen. Sind diese Buchstaben gerade in Bewegung, warten wir so lange, bis wir das Wort erkennen können“, erläutert Tatjana. Korrespondieren Wortsinn und die Art, wie das Wort oder der Text animiert wird, fühlt sich der Konsumierende im Idealfall emotional angesprochen. Soll etwa die Produkteigenschaft „Energie“ beworben werden, bieten sich schnelle, kraftvolle, prägnante Animationen mit klaren Bewegungsmustern an. Bei der Darstellung der Eigenschaft „Harmonie“ würde die Animation eher weich, fließend und langsam kreiert.
Die zeitweise Teilschließung der analogen Welt hat eine Flucht in die digitale Welt ausgelöst. Teils aus pragmatischen Überlegungen: Meetings und Zusammenarbeit, die sonst nicht hätten stattfinden können, wurden und werden im digitalen Raum ungehindert fortgesetzt. Teils aus psychologischen Gründen: Die Krisenhaftigkeit des Außen verursacht einen Rückzug nach innen – und die virtuelle Welt bietet bereitwillig Asyl. „Satisfying Animation kann auch bedeuten, dass Nutzer sich über längere Zeit ein Pendel anschauen, dass sich in einer eigentlich unrealistischen Bewegung immer weiterbewegt – dieses Perpetuum Mobile beruhigt. Die Darstellung von Gegenständen im Spektrum zwischen Unmöglichkeit und bekannten Naturgesetzen bietet dem Geist eine gewisse Befriedigung.“ Ebenso wie die zerfallenden, zerquetschten, mäandernden Buchstaben, aus denen wieder ein Wort wird, wenn man lang genug wartet. Die hohe Kunst der Produktvermarktung im Jahr 2022 lautet nun, den Spagat zwischen Eskapismus und Erklärfunktion zu bewältigen – davon zeugt, dass bei beiden Grafik-Trends stets alles in Bewegung ist und niemals etwas in Starre verfällt.
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